Evidence Fan-Fret-Mini-Jumbo

Zeitschrift: Akustik Gitarre 05/2021 | Autor: Franz Holtmann

Mit dem Modell Evidence legt Christian Stoll namensgerecht Zeugnis über eine handwerkliche, aber auch gestalterische Kunstfertigkeit ab, die längst zum gehobenen Standard der Gitarren aus seiner Werkstatt wurde. Das Design der Evidence ist „State of the Art “, wendet sich aber keineswegs nur an New Ager oder Perkussive-Fingerstyle-Fans.

Mini jumbo palisander faecherbuende fanned frets cutaway
Testmodell Evidence mit Palisander-Korpus

"Mini-Jumbo -Hochleistungsmaschine für Gitarrennerds“ – so nennt Christian Stoll sein modernes Design mit moderater Fächerbundierung. Natürlich hat der Kunde auch bei der Evidence Zugriff auf verschiedene hochwertige Hölzer. Auch optionale Ausstattungsmerkmale wie etwa Armauflage, Hochglanzlackierung oder eine Ausführung für Linkshänder gehören zum Angebotskatalog.

Konstruktion

Die Konzeption hinter der Evidence sucht eine glückliche Verbindung der klassisch bewährten, volltönenden Stoll-Steelstring-Ambition mit der innovativen Fanned-Frets-IQ-Jumbo herzustellen.

Trotz der asymmetrischen Aspekte ist dieses Cutaway-Modell auf leichten Zugang hin entworfen und wartet darüber hinaus mit hoher klanglicher Kraft und Delikatesse auf. Das ist nicht zuletzt der Konstruktion mit gewölbtem Boden, aber ebenfalls leicht gewölbt angelegter und von einer Kreuzbeleistung getragener Decke zu verdanken. Die bewährten Tonhölzer Palisander und Sitkafichte in bester Qualität wurden dafür mittig spiegelgleich gefügt, der Korpus ist am Halsansatz knapp 10 Zentimeter tief, hat eine gut geschnittene Taille und einen runden Cutaway-Ausschnitt.

Feinstreifig unterlegte Bindings aus Anigré schützen die Außenkanten und unterstützen den edlen Look. Für die stilvolle Rosette kommen Palisander und Anigré zum Einsatz, eingerahmt von zweifarbigen Ringen.

Der mit einem U-förmigen Halsfuß (spanische Methode ) in Höhe des 14. Bundes in den Korpus eingebrachte Hals aus Cedro erhielt ein Griffbrett aus Palisander, in dem sorgfältig verarbeitete Fächerbünde – 20 reguläre und einer zusätzlich auf der Griffbrettnase am Schalllochrand – sowie auffällig große, cremefarbene Knochen-Inlays zur zweifelsfreien Lagenkennung Platz fanden.

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Testmodell Evidence mit Palisander-Korpus - Kopf

Die lang und mit gutem Winkel (22 Grad) über eine flach ausgearbeitete Volute herausgeführte Kopfplatte ist mit einem Palisander-Furnier inklusive eingelegtem S-Firmenemblem besetzt. Ihre elegante und stark taillierte Formgebung erlaubt die Saitenführung mit geradem Zug und gutem Andruck auf den Wickelzylindern der luxuriösen, angenehm weich laufenden 510-Einzelmechaniken von Gotoh auf den diagonal platzierten Sattel aus poliertem Knochen.

Sein Gegenstück, der konträr schräg gestellte saitentragende Stegeinsatz aus längenkompensiert ausgearbeitetem Knochen im asymmetrisch zugeschnittenen, geschwungenen Steg aus Palisander, lässt schon optisch das starke Gefälle in den Mensurlängen der Saiten zwischen 628 Millimetern am Diskant und 662 Millimetern im Bereich der Basssaiten erahnen. Gehalten werden die Saiten durch knöcherne Bridgepins mit klassischem „Pariser Auge“.

Die in meisterlicher Stoll-Qualität detailgenau gefertigte Gitarre ist rundum perfekt und dünn mit seidenglänzendem Nitrolack versiegelt.

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Testmodell Evidence mit Palisander-Korpus - Knocheninlays

Handhabung und Klang

Diese Evidence Mini-Jumbo ist eine erfreulich komfortabel zu spielende Gitarre und sollte trotz der vielleicht ungewohnten Fanned-Frets-Anordnung absolut niemanden abschrecken.

Die vom achten Bund ausgehend fächerförmig angeordneten Bünde machen ergonomisch Sinn und sind schnell in Gewöhnung genommen. Dank der flach eingerichteten Saitenlage auf dem besonders fluffig ausgeformten Hals mit samtigem Griff kommen wir mit der Gitarre auch sofort freudvoll ins Geschäft.

Überdies fügt sich die Mini-Jumbo behaglich an ihren Spieler, und  die gefächerten Bünde sorgen für eine reine Intonation über das gesamte Griffbrett hinweg. Die gut geschnittene Gitarre ist, ihrer maßvollen Fächerbundierung sei Dank, keineswegs nur etwas für New Age-Jünger. Jeder Form von modernem Fingerstyle, aber auch der konventionellen Herangehensweise mit dem Plektrum öffnet sich die Evidence widerstandslos mit kraftvollem Ton und ausgesprochen differenziertem Klangbild.

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Testmodell Evidence mit Palisander-Korpus - Steg mit Pariser Augen

Das allgemeine Klangvermögen ist reich und tiefgreifend. Durch die unten verlängerte Mensur erscheinen die Bässe höchst definiert und druckvoll. Kombiniert mit substanziell warmen Mitten und silbrig offenen Höhen ertönen Akkorde mit harmonischer Rundung aus dem Schallloch, die Ansprache der Gitarre ist so schnell wie präzise, das Dynamikverhalten schlicht großartig.

Facettenreich werden Finger- und Plektrum-Aktionen umgesetzt, das Instrument folgt der Intention des Spielers willig und unterstützend. Akkorde profitieren von der perfekten Saitentrennung mit harmonisch stimmiger Auflösung, gehaltene Noten entwickeln sich – wie auch Mehrklänge – atemreich und ebenmäßig. Die überaus leichte Tonerzeugung korrespondiert überdies mit nach Anschlagshaltung und -intensität farbintensiv changierend aufzurufenden Obertönen.

Zu loben ist zudem das geradezu feinstofflich schwebende Ambiente im Ausklangverhalten. Was mit traditionellen Spieltechniken schon bestens funktioniert, wird durch die intendierte Öffnung für Tapping und Slapping zum verheißungsvollen Tor für allerlei neue Sounds und perkussive Eskapaden.

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Evidence mit Korpus aus Veilchenholz

Der vielseitigen Gitarre sind einerseits die Engelszungen nicht fremd, süß und lyrisch singt sie mit Fingern gespielt gern das alte romantische Lied und geht kompetent und dynamisch mit robusten Strummings um, andererseits aber drückt sie bei engagierteren Herangehensweisen ihr Kreuz auch sofort stramm durch. Und dann ist es wahrlich kein Problem, mit ihr als rhythmische Lokomotive voranstürmend durch den frischen bunten Notenwald der Avantgarde zu brechen.

Fazit

Wenn sich der Gitarrist als engagierter Liebhaber und aufgeschlossener Klangforscher angesprochen fühlt, liegt er mit der Stoll Evidence richtig. Das moderne und schlüssige „State of the Art“-Design setzt weder Umgewöhnung noch Spezialwissen voraus, um mit ihm glücklich zu werden.

Evidence mit Korpus aus Tamarinde

Die Gitarre ist klanglich nicht weniger als eine Kanone und präsentiert sich von der Handhabung her trotz oder auch gerade wegen der maßvollen Fächerbundierung als ungemein komfortabel und elegant – ganz zu schweigen von der Intonationstreue über das gesamte Griffbrett hinweg. Bei Materialeinsatz und vom Handwerk her gibt es bei Instrumenten aus der Werkstatt von Christian Stoll sowieso nie etwas zu bemängeln.

Wer sich also etwas Neugier an Erweiterungen des gitarristischen Horizonts erhalten hat und bereit ist, sich auf neue Wege einzulassen, der kann sich bei der Klangschürfung auf satten Ertrag freuen – der Claim ist abgesteckt, die Pfründe versprechen hohen Gewinn. Kurz: ein tolles Instrument, traditionsverbunden und zukunftsweisend zugleich!

 

Infos

Gitarre im Test: Evidence
Video Evidence - Akustik Gitarre
Download PDF: Testbericht Akustik Gitarre 05/21 Stoll Evidence
Weiterführendes:

Evidence Palisander
Evidence Amaranth
Evidence Tamarinde
Der spanische Hals im Gitarrenbau
Wissenswertes über Fächerbundierung
Linkshänder-Gitarren

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