Schräge Intelligenz – Stoll IQ

Zeitschrift: Guitar Acoustic 01/2012 | Autor: Jürgen Richter

Unter den deutschen Gitarrenbauern ist Christian Stoll einer der Querdenker. Wie quer, wird klar, wenn man sich sein neues Modell „IQ“ ansieht. Kann man auf einem so schrägen Griffbrett überhaupt spielen?

Stoll hat seiner neuen Gitarre nicht umsonst den Namen IQ gegeben. Sie strotzt nämlich vor intelligenten Detaillösungen. Die auffälligste davon ist sicherlich das Griffbrett mit den schräg angeordneten Bünden. Genau genommen sind diese nicht nur einfach schräg, vielmehr wurden sie fächerförmig angeordnet. Der Grund: Die Stoll IQ verfügt nicht nur über eine Mensur, sondern über viele. Die hohe E-Saite ist 64 Zentimeter lang, die tiefe E-Saite 68 Zentimeter.

Anlass für diese Maßnahme war die Erkenntnis, dass tiefe Saiten besser schwingen, wenn sie länger sind. Die Stoll IQ verspricht daher vor allem im Bassbereich einen strafferen, klareren Ton. Man kann das mit Klavieren und Flügeln vergleichen. Auch hier sind es die großen Instrumente, die den klareren, voluminöseren Ton liefern, auch hier sind die Basssaiten deutlich länger als die Diskantsaiten. Soweit das Offensichtliche.

Auf der handwerklichen Seite ist die Stoll IQ eine einwandfrei verarbeitete Gitarre im Jumboformat, die selbstverständlich ausschließlich aus massiven Hölzern gebaut wurde. Die Decke besteht aus Sitka-Fichte, Boden und Zargen aus Palisander – das ist die populärste Holzkombination im Gitarrenbau. Der Hals hingegen wurde aus Cedro gefertigt, dem Holz, das üblicherweise für Hälse von Klassikgitarren genutzt wird, weil es leicht und elastisch ist.

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Spanische Konstruktion

Ungewöhnlich für eine Steelstring ist, dass auch die Konstruktion derjenigen der Spanier entspricht. Der Hals wird nicht per Schwalbenschwanz oder Zapfen mit dem Korpus verbunden, sondern reicht in ihn hinein. Die Zargen werden in entsprechende Schlitze im Halsholz geschoben, was zu einer innigen Verbindung zwischen Hals und Korpus führt. Dies wird zusätzlich durch den Boden unterstützt, der bis auf den Halsfuß läuft – auch das ein typisch spanisches Konstruktionsmerkmal.

Der erste Kontakt mit der Stoll IQ ist ein olfaktorischer – hmmmm, so riecht Nitrolack! Eingeschlossen in den mitgelieferten Hiscox-Koffer, entweicht er im Moment des Öffnens als konzentrierte Wolke und wirft einen schier um. Das Griffbrett, so der zweite Eindruck, sieht wirklich sonderbar aus. Und natürlich greift es sich im ersten Moment auch sonderbar. Hier reagiert jeder Gitarrist anders. Manche haben überhaupt kein Problem damit, andere müssen sich daran gewöhnen. Immerhin ist dort, wo früher für den einen oder anderen Finger ein Bundzwischenraum war, nun ein Bundstäbchen. Aber man kommt nach einer gewissen Zeit gut damit klar. Und dann beginnt die Kür.

Die Stoll IQ besitzt eine schon fast unverschämt zu nennende Dynamik und einen ungemein drahtig-festen Ton, wie er in dieser Ausprägung einzigartig ist. Das betrifft vor allem die Diskantsaiten. Für die Basssaiten gilt es, wenn man sie an der gleichen Stelle anschlägt wie die hohen Saiten – was man aber nicht macht, denn durch den schräg stehenden Steg befindet sich der Anschlagpunkt mehr auf der „weichen“ Seite. Das gibt dem Klang eine Wärme, den er trotz Jumbobody sonst nicht hätte.

IQ fanned frets Stahlsaiten-Gitarre Zargenschalloch als Monitor
IQ: Zargenschalloch als Monitor

Zweites Schallloch

Ein weiteres Detail fällt bei der Betrachtung des Korpus ins Auge: Stoll hat den Übergang von der Decke zu den Zargen an jener Stelle, wo der rechte Arm auf dem Korpus liegt, deutlich rund ausgearbeitet. Und da wir gerade bei den Zargen sind: Im oberen Teil ist ein zweites Schallloch eingearbeitet, das dem Gitarristen eine bessere Selbstkontrolle ermöglichen soll. Dank des großen Bodys ist die Trennung zwischen den Registern Diskant und Bass recht gut, wobei die Mitten eher dezent ausfallen. Inklusive der straffen Bässe funktioniert Bluegrass-Flatpicking daher bestens – die Basslinien knallen so raus, wie es sein muss. Fingerpicking geht ebenso gut, wobei man den Gewöhnungsfaktor an das Griffbrett nicht unterschätzen darf.

Am meisten Spaß macht es jedoch, mit dem Pick Akkorde zu strummen. Die Soundfülle ist enorm. In der Mitte bleibt genügend Platz, um die Stimme optimal zu platzieren, und die Brillanzen lassen den Sound richtig schön strahlen. Wenn sie nur nicht so saulaut wäre ... Aber da müssen die Sänger wohl noch ein bisschen üben ...

Das bleibt hängen

Die Stoll IQ ist in vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Gitarre. Da wären die fächerförmigen Bünde, die dem Instrument längere Basssaiten verschaffen. Der große Korpus mit der schönen Abrundung für den rechten Arm. Das zusätzliche Schallloch. Alles verpackt in lupenreine Handwerkskunst. Resultat ist ein fester, lauter und dynamischer Sound, der einfach nur Spaß macht.

Infos

Gitarre im Test: IQ
Weitere Testberichte: Akustik Gitarre 2012
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