Zeitschrift: Akustik Gitarre 05/1998 | Autor: Hans Westermeier
Stoll? Ist das nicht der mit dem Akustikbaß? Identifikation und Zuordnung bei Gitarrenherstellern hängen nicht selten an einem Produkt, das sich den Köpfen vornehmlich aus optischen oder technischen Gründen eingeprägt hat. Fürwahr ist der Akustikbaß von Stoll einzigartig im Erscheinungsbild und für viele auch im Klang, und ich glaube nicht, daß Christian Stoll über diese "hartnäckige" Identifikation böse ist.
Natürlich fertigt Stoll seit 1983 in seiner Meisterwerkstatt auch akustische Gitarren, und zwar sowohl Stahlsaiten- als auch Nylonsaiten-Gitarren. Eine sechssaitige Stoll PF-O haben wir in AKUSTIK GITARRE (Ausgabe 1/97) bereits vorgestellt. Heute liegt die zwölfsaitige Variante zum Test bereit.
Konstruktion und Verarbeitung
Im wesentlichen entspricht die PF-12 der sechssaitigen Schwester. Die Decke ist aus Sitka- oder Alpenfichte hergestellt, wobei Letztgenanntes für das vorliegende Testmodell zutrifft. Für Boden und Zargen wird ostindischer Palisander verwendet. Hervorzuheben ist bei Stoll immer wieder die Beleistung, denn es ist bekannt, daß er gerade auf diesem Gebiet als absoluter Experte gilt. Seine von ihm entwickelte Beleistung, kombiniert mit einem wiederum fein abgestimmten Scalloped bracing (dt.: das Ausbogen der Leisten) ist mitverantwortlich für die Klangentfaltung seiner Instrumente - und das gilt selbstverständlich auch für die PF-12.
Gehen wir weiter zum Hals der Twelvestring. Auch hier gilt es wieder, auf eine Besonderheit aufmerksam zu machen, die bei einigen wenigen Gitarrenbauern vorzufinden ist. Stoll baut alle Stahlsaiten-Gitarren mit einem "spanischen Hals", d.h. Hals und Halsfuß werden aus einem Stück - in diesem Fall aus Honduras-Mahagoni - gefertigt, und der Korpus wird dann um den Halsfuß "herumgebaut". Diese Bauweise, die sich vom üblichen Stahlsaiten-Gitarrenbau unterscheidet, trägt wiederum zur Optimierung des Schwingungsverhaltens und damit zur positiven Klangentfaltung der Gitarre bei.
Der Hals-Korpus-Übergang befindet sich am 12. Bund. Der Vorteil dieser Bauweise ist, daß der Steg an eine für den Ton einer zwölfsaitigen Gitarre sehr günstigen Position im Zentrum der Decke montiert werden kann. Bei zwölfsaitigen Gitarren erschwert oftmals eine baubedingte Kopflastigkeit das Handling.
Stoll löst dieses Problem durch eine durchbrochene Kopfplatte, und auch die gerade erwähnte Halskonstruktion (Montage am 12. Bund) trägt dazu bei, daß die PF-12 wunderbar ausbalanciert ist. Die Mechaniken sind handgemacht und können im Bedarfsfall für jede Saite einzeln ausgetauscht werden. Eine nützliche und letztlich auch kostensparende Detailidee! Für die Lackierung der Gitarre benutzt man einen seidenmatten Nitrocelluloselack.
Klang und Spielbarkeit
Die verwendeten Materialien, gepaart mit oben ausführlich beschriebenen Konstruktionsmerkmalen, lassen auf gute Klangergebnisse hoffen. Und so ist es auch! Die Stoll PF-12 klingt herrlich breit und offen, und ich vermißte kein einziges "Frequenzchen". Bei entsprechender Spielweise kann die Gitarre auch richtig laut werden, ohne in bloßen Lärm und Krach zu verfallen.
Ich kramte nach kurzer Eingewöhnung alte "Led Zeppelin"- und "Supertramp"-Songbooks aus meinem Regal (bekanntermaßen spielten die Herren Page und Hodgson sehr gerne auf der Zwölfsaitigen) und vergnügte mich auf diese Weise fast den ganzen Sonntagnachmittag. Von einem echten Könner auf der Zwölfer (aber wer ist das schon?) läßt sich der Stoll PF-12 bestimmt noch mehr entlocken. Die Reserven dieser Gitarre sind deutlich zu spüren!
Was nützt bei einer zwölfsaitigen Gitarre bestes Holz und toller Klang, wenn sie kaum zu spielen ist? Keine Angst! Die Stoll PF-12 hat eine traumhafte Saitenlage, und auch Gitarristenhände, die nicht so sehr an den Druck einer zwölfsaitigen Gitarre gewöhnt sind, werden keine großen Schwierigkeiten haben.
Übrigens empfinde ich die zwei Bünde weniger (siehe entsprechende Konkurrenzmodelle) und den Hals-Korpus-Übergang am 12. Bund als keinen großen Nachteil. Wer nutzt auf einer zwölfsaitigen Gitarre schon wirklich die Bünde jenseits der 12 oder gar der 14 aus? Die bereits beschriebenen Vorteile dieser Bauweise aber, Klangentfaltung und Ausbalanciertheit, machen dieses kleine Zugeständnis an die Bundzahl mehr als wett!
Fazit
Eine liebevolle und gleichzeitig hervorragende Verarbeitung zeichnen diese Gitarre aus. Man darf hier getrost von "Gitarrenbaukunst" sprechen! Der Preis dafür geht absolut in Ordnung. Nochmals hervorheben möchte ich die gute Spielbarkeit.