Feine Frucht – Christian Stoll „Wild Cherry“

Zeitschrift: Akustik Gitarre 04/2000 | Autor: Franz Holtmann

Mit dem Sondermodell "Wild Cherry" legt der Gitarrenbauer Christian Stoll aus dem hessischen Taunusstein ein interessantes und eigenständiges Instrument auf der Grundlage europäischer Hölzer vor.

Tropenholz ist knapp und der fatale Raubbau an der "grünen Lunge" unseres Planeten noch längst nicht beendet. Grund genug also, sich auf heimische Hölzer zu besinnen. Ganz neu ist diese Idee nun allerdings nicht, denn neben Ahorn spielte Kirschholz auch im historischen Instrumentenbau schon gelegentlich eine Rolle.

Konstruktion

Gute Tonhölzer außerhalb der eingefahrenen Spuren zu bekommen scheint gar nicht so einfach zu sein: "Kirsche in dieser Qualität zu bekommen ist ein Glücksfall", so lautet die Aussage des Gitarrenbauers. Von einem bosnischen Kollegen konnte Christian Stoll einige Bohlen dieser fabelhaften Wildkirsche ergattern, die als Korpusholz für die vorliegende Gitarre Verwendung fand. Der zweigeteilte gewölbte Boden und die Zargen der "Wild Cherry" zeigen das schön gezeichnete Holz in seiner ganzen delikaten Pracht mit Bindings aus dunkel kontrastierendem Palisander.

Langsam gewachsene Alpenfichte von feiner Struktur und hoher Güte dient als Decke, die rundum von einem durchbrochenen Zierstreifen aus Rautenmustern eingeschlossen ist. Ein schlichter, schmaler Rosettenstreifen, aus naturfarbenen Hölzern geformt, schmückt das Schallloch.

Für den schlanken, einteiligen Hals in traditionell bewährter spanischer Bauweise kommt dann doch noch das in Gänze nur schwer vermeidbare Tropenholz ins Spiel mit Honduras-Mahagoni und einem Ebenholz-Griffbrett von nur geringer Wölbung. 21 perfekt verarbeitete Bünde zeigen hohe Sorgfalt, und Dots aus Perlmutt weisen den Weg zu den richtigen Tönen.

Die nur leicht abgewinkelte Kopfplatte trägt auf der Front ein Palisanderfurnier mit Firmenlogo und ist mit leichtgängigen Minimechaniken aus dem Hause Schaller bestückt. Eine Korrektur des eingelegten Stahlstabes kann bei Bedarf durch das Schallloch erfolgen. Fein beschliffene Beleistung, akkurate Bearbeitung des Sattels/Stegs und die dezente seidenmatte Nitro-Lackierung zeigen bestes Handwerk.

Spiel- und Klangeigenschaften

Kirsche ist etwas weicher als Ahorn, und das wirkt sich auf die Qualität der reflektierten Klänge aus. Das milde und filigrane optische Erscheinungsbild der Wildkirsche spiegelt sich förmlich auch in ihren Klangeigenschaften. Die Kombination Alpenfichte/Kirsche sorgt für weich-silbrige Sounds mit hoher Strahlkraft. Ein seidiger Flor legt sich um die akkordischen Klänge. Das anmutige Ambiente besitzt einen ganz eigenen Reiz, eine lyrisch empfindsame Struktur.

Die Bässe sind von eher leichter Natur und werden nach schnellem Aufstieg im Abklang von den jubelnden Höhenanteilen überflügelt. Für den elegischen Spieler der lang atmenden Töne mag das ein Nachteil sein, dafür lassen sich auf der anderen Seite allerdings wieder sehr luftig tönende Teppiche von hohem Reiz weben.

Das sensible Wesen reagiert stark auf die Art und Position des Anschlags, der Ton ersteht leicht, aber mit gut konturierter Gestalt. Der resonante Atem in durchaus überraschend dichter Fülle scheint fast im Widerspruch zu den fein verschlungenen Obertonverwebungen zu stehen, dabei ist die Gitarre wahrlich kein Leisetreter.

Auf zu kräftigen Anschlag reagiert sie allerdings mit deutlichem Unwillen, d.h. die Saiten neigen dann im Akkord zu einem nicht ganz so schönen Klirren, und beim Melodiespiel knarrt es etwas im Geäst. Das soll nun aber nicht als Aufsehen erregende Halskrankheit herausgestellt werden, ist sogar eher die Regel bei einer flach gehaltenen Saitenlage wie dieser und verweist nur den "Bärbeiß" auf handfestere Instrumente.

Der schnittige, schlanke Hals lädt ansonsten zu sinnenfroher Beschäftigung ein. Das in der Gesamtsicht sehr schöne Timbre der "Wild Cherry" zeigt also auch das möglicherweise vernachlässigte Potenzial heimischer Materialien für den künstlerischen Gitarrenbau auf.

Fazit

Ja, doch, die "Wild Cherry" ist ein besonderes Instrument mit weichem, dabei aber hell silbrigem Grundcharakter und filigranem Ton. Im besten Sinne europäisch im Klang, bietet sie manchem grobem "Schreihals" von Gitarre mit ganz lockerem Selbstbewusstsein die Stirn.

Ein schlanker Hals bietet müheloses Spielvergnügen, lediglich durch knarrenden Protest gegen zu kräftigen Anschlag begrenzt. Das Sustain ist nicht allzu lang, aber dafür zeigt unsere Kandidatin mit durchsichtigem, leichtem Timbre Stärken in fließenden klanglichen Mustern und besitzt dabei einen eigenen lyrischen Ton.

Große Geschlossenheit im harmonischen Zusammenspiel der Stimmen und luftige Lebendigkeit ergänzen den geschmeidigen und dennoch frisch resonanten Ausdruck zu einem eindrucksvollen Ganzen.

Christian Stoll hat mit dem nur begrenzt verfügbaren Sondermodell "Wild Cherry" eine Gitarre von Format erstellt, die abseits vom krachenden Mainstream mit weicher, sanfter, aber dennoch charaktervoll durchsetzungsfähiger Stimme überzeugt. Kein Instrument für Cowboys also - dann schon eher für den Gourmet oder den feinnervigen Lyriker. Schöne Arbeit.